Um die Wirkungsweise sowie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Achtsamkeit und Embodiment im Coaching / Training zu verstehen, lohnt es sich einen Blick auf unser Gehirn und Nervensystem zu werfen.

Das Gehirn setzt sich entwicklungsgeschichtlich aus dem Stammhirn, dem Limbischen System und dem Neocortex zusammen.

Das Stammhirn ist vor allem für unsere unbewussten Reaktionen verantwortlich. Durch das vegetative Nervensystem reguliert es lebensnotwendige Funktionen wie die Atmung und die Herzaktivität. Von dem Stammhirn aus verlaufen zwei getrennte Nervenstränge, der Sympathikus (Handlungsnerv) und der Parasympathikus (Ruhenerv) zu verschiedenen Andockstellen im Körper (Rezeptoren). Der Sympathikus u.a. mit dem Neurotransmitter Adrenalin ist für unser kurzfristiges Überleben von Bedeutung. Bei Gefahr mobilisiert dieser über eine Stressreaktion den Körper für Kampf- oder Fluchthandlungen. So wird über die Ausschüttung von Endorphinen z.B. die Schmerzwahrnehmung gehemmt. Bei dauerhaftem Stress kann der Körper das im Blut gelöste Stresshormon (Cortisol) nicht mehr ausreichend abbauen. Die Folgen sind Unruhe, körperliche Erschöpfung bis hin zum Burn-Out. Der Parasympathikus inkl. Vagus-Nerv sichert u.a. durch Regulierung von Stress, der Verdauung und des Immunsystems langfristig das Überleben. Achtsamkeit und Embodiment fördert die Aktivierung des Parasympathikus und ermöglicht damit die Regeneration des Körpers.

Das Limbische System umfasst u.a. die für die Angstreaktion verantwortlichen Mandelkerne (Amygdala), den für die Speicherung von Erinnerungen zuständigen Hippocampus sowie den Hypothalamus, der die Hormonsteuerung reguliert. Bei Gefahr schlägt das Limbische System Alarm. Auch das Belohnungszentrum (nucleus accumbens) ist hier verortet. Über den Neurotransmitter Dopamin belohnt uns das Gehirn mit Glücksgefühlen für erfolgreiche Lernprozesse und steuert Antrieb und Motivation. Dopamin macht uns im Zusammenwirken mit Noradrenalin wach, aufmerksam und handlungsfähig. Es erhöht die Informationsdichte und speichert Erlerntes im Langzeitgedächtnis ab. Durch Sympathikus-Überaktivität kann das Dopamin und weitere Neurotransmitter nicht mehr ausreichend abgebaut werden. Dann wird aus dem Zustand wacher Aufmerksamkeit Erregtheit, Aufgeregtheit und schließlich Fahrigkeit und Zerstreuung.

Der Neocortex ist die äußerste Schicht des Gehirns (Hirnrinde) und ist zuständig für die Koordination vom Limbischen System und Stammhirn (Vertikale Integration). Es ermöglicht uns Selbstregulation, d.h. die Einflussnahme auf neurologische Aktivitäten. Über den Präfrontalen Kortex können wir z.B. Angstreaktionen neu bewerten und damit Stressreaktionen kontrollieren. Andererseits können durch negative Glaubenssätze und Überzeugungen Stressreaktionen ausgelöst und / oder verstärkt werden.

Was hat das nun mit Achtsamkeit und Embodiment zu tun?
Achtsamkeit und Embodiment unterstützen beide die Regulation von Stress bzw. die Stärkung von Resilienz im Menschen durch sogenannte Vertikale Integration. Unterschieden wird zwischen den Varianten Top-Down und Bottom-Up. Dabei legt Achtsamkeits-Coaching den Fokus auf den Top-Down-Ansatz und hilft dem Coachee durch Tools ausgehend von den höheren Hirnregionen (Neokortex) regulierend auf die unteren einzuwirken. Dazu gehören Meditation, Beobachtung & Neu-Bewertung der Lebenssituation u.a. durch die Veränderung von identitätsbildenen Glaubenssätzen mit NLP (Neurolinguistisches Programmieren) Techniken und das Verstehen von Sinn und Bedeutungen im allgemeinen. Natürlich gibt es auch hier einen direkten Einfluss auf die unteren Hirnregionen (Stammhirn) durch bewusstes Atmen im Rahmen der Meditation, im Vordergrund steht aber das inhaltliche Gespräch mit dem Coach. Beim Embodiment Practitioner zielt das Training oder Coaching stattdessen darauf ab, direkt auf das Stammhirn und das dort arbeitende vegetative Nervensystem Einfluss zu nehmen. Dieser Bottom-Up-Ansatz beinhaltet eine Vielzahl von Atemtechniken, aber auch Methoden wie Neurogenes Zittern und viele andere Wege , um das Nervensystem zu regulieren. Beide Wege, Achtsamkeit und Embodiment sind körperorientiert. Es geht also nicht nur darum, über etwas nachzudenken, sondern auch Gefühlen und Körperempfindungen nachzuspüren und das möglichst wertfrei und wohlwollend.

Übersicht: (Selbst-) Regulation | Vertikale Integration

1. Top-Down | von oben nach unten
Dabei wirkt der vordere Teil des Neocortex, der Präfrontale Kortex (PFC), regulierend auf die darunter liegenden Hirnregionen (Limbisches System und Stammhirn) ein.

2. Bottom-Up | von unten nach oben
Dabei wirkt das Stammhirn regulierend auf die darüber liegenden Hirnregionen (Limbisches System und Neocortex) ein.

Beispiel: Ein lauter Knall ertönt. Das Nervensystem ist alarmiert (“Bin ich sicher?”) und die Amydala im Limbisches System (“Was fühle ich?”) reagiert zunächst mit Angst. Der PFC im Neocortex (”Was bedeutet das?”) untersucht die Situation genauer und nimmt wahr, dass es nur eine Fehlzündung eines Motorrads war. Die Stressreaktion wird beendet. Angst und erhöhte Wachsamkeit verschwinden. Das ist Regulation im Top-Down-Prinzip. Optional oder zusätzlich hilft die Vagus-Nerv-Aktivierung bspw. durch verlängerte Ausatmung, das Nervensystem und das Limbische System zu regulieren. Das entspricht dem Prinzip Bottom-Up. Dies ist besonders wichtig, wenn negative Gedanken sowie Überzeugungen die Wahrnehmung beeinflussen und die Stressreaktion über den Top-Down-Weg nicht gestoppt werden kann.

Vertikale Integration: Hand-Modell des Gehirns in Anlehnung an Siegel

Der Aufbau des Gehirn und die genannten Zusammenhänge lassen sich auch vereinfacht mit unserer Hand modellhaft erklären.

Handfläche = 1. Schicht: Stammhirn
Daumen = 2. Schicht: Limbisches System
Restliche Finger (-kuppen) = 3. Schicht: Neocortex / PFC

So legen wir bei der Regulation im Top-Down-Prinzip, die Fingerkuppen “schützend” über unseren Daumen und auf unsere Handfläche. Im Bottom-Up-Prinzip wirkt der direkte Einfluss auf die Handfläche auch auf Daumen und die restlichen Finger.

Wir verfolgen entsprechend in der Ausbildung zum Achtsamkeits-Coach den Top-Down-Ansatz und in der Ausbildung zum Embodiment Practitioner den Bottom-Up-Ansatz. Unsere Somatic Master Class / Coach Ausbildung verfolgt ein vertiefendes integrales Modell aus beiden und baut entsprechend darauf auf. Die vorherige Absolvierung vom Achtsamkeits-Coach und Embodiment Practitioner sind entsprechend Voraussetzung für die Zertifizierung der Somatic Master Class / Coach Ausbildung. Eine Teilnahme ist aber bei ausreichenden Coaching-Vorerfahrungen möglich. Bei Fragen sind wir gerne für Dich da!