seniorTatort Supermarkt. Der Pfandautomat nimmt mir das Leergut der letzten zwei Wochen ab. An der Kasse wird mir bewusst, dass ich den Auszahlungsbeleg im
Automat habe liegengelassen. Ich sprinte zurück, doch keine Spur vom Zettel. Sofort sehe ich jeden im Laden als potentiellen Dieb an, als Bereicherer auf meine Kosten. Was guckt der denn so ausgelassen? Kein Wunder, wenn man einen Leergut-Bon von 9€ findet, ich korrigiere: ergaunert!

Das Kopfkino ist mal wieder in vollem Gange. Mal davon abgesehen, ob wirklich irgendjemand den Bon für sich eingelöst hat oder ob ich ihn nicht doch verloren habe, ich fühle mich beraubt und hintergangen.

Solche Situationen entstehen, wenn wir uns den Kopf zerbrechen, dass das Leben nicht das bietet, was wir erwarten. Zu wenig Gutes, zu viel Schlechtes.

Perspektivwechsel

Doch vielleicht geht es ja gar nicht darum, was das Leben mir zu bieten hat, sondern was ich dem Leben zu bieten habe. Ein einfacher, doch entscheidender Perspektivwechsel.

Warum soll sich die Welt nur um mich drehen und meinen Bedürfnissen nachkommen? Vielleicht ist mein Anteil am Ganzen heute, dass jemand anderes 9€ verdammt gut gebrauchen kann?

Doch die Angst schafft Trennung und sagt: Konkurrenz lauert überall. In meiner Rolle als Unternehmer, sind es die Wettbewerber auf dem Markt, in meiner Rolle als Mann, die anderen Verehrer des weiblichen Geschlechts, als Autofahrer, die zwei Autos für die letzten beiden verfügbaren Parkplätze oder als Urlauber, die handtuchbewaffneten Liegestuhlmitstreiter.

 

Dieser allgemeine Kampf um begrenzte Ressourcen verursacht Stress, und wie. Alles nur, weil ich glaube, sonst im Nachteil zu sein, nichts ab zu bekommen vom „Kuchen des Lebens“ oder einfach nicht genug. Nicht genug Geld, Anerkennung, zu wenig Liebe oder auch zu viel Leid = zu wenig Glück.

Das Streben nach ewig währenden besten eigenen Bedingungen und perfekter Bedürfnisbefriedigung. Dieser evolutionär tief sitzende Wunsch ausreichend und sicher versorgt zu sein, wird schnell zu Begierde. Ein Genug rückt dann in unerreichbare Ferne. Wie „Salzwasser-Trinken“ trocknet es aus, vor allem das eigene Herz. Solange ich etwas brauche, kann ich nicht lieben, kein Mitgefühl entwickeln für mich und andere.

 

Was ist die Alternative?

Es geht auch anders, wenn ich aufhöre, Situationen aus der begrenzten Sichtweise der eigenen Bedürfnisse zu sehen. Ich öffne das Fenster, mit Blick auch auf die Mehrwerte und Gewinne für andere Menschen. Ich betrachte nicht das Einzelne, sondern das Kollektiv, das Ganze.

Vielleicht ist es Dir schon mal passiert, dass Du zu viel Rückgeld bekommen hast oder Dir sonstige Vorteile aus dem Fehler eines anderen passiert sind. Klar, vielleicht kam Dir das ganz Recht und erkennst diese Situationen als seltene Gelegenheit, die vielen selbst erlebten Ungerechtigkeiten wieder ein wenig zugunsten Deiner eigenen Person zu korrigieren? Einfach gesagt: Das Geld oder was auch immer nehmen und gehen.
Doch mit einem Blick aufs Ganze, ist dies nicht mehr möglich, denn Du schadest Dir selbst.

 

Je höher wir kommen, desto entschiedener die Sympathie sich auch auf die Entferntesten erstreckt.“ (Marc Aurel)

 

Neulich hatte ich genau diese Situation. Ich hatte in Begleitung einen schönen Abend im Varieté verbracht, gut gegessen und auch getrunken. Doch die Rechnung war weit weniger hoch als erwartet, denn einige Posten waren gar nicht aufgeführt, in Zahlen fehlten 50€. Sofort fiel mir wieder der Leergut-Automat ein und der Gewinn war auch ohne große Rechenkünste schnell ermittelt: 50€ Gewinn – 9€ Verlust = 41€ Gewinn.

„Endlich!, meldete sich ein Gedanke, das Universum ist doch gerecht zu mir.“
Doch schnell fiel mir auf, dass es das auch ohne die 50€ schon immer gewesen war. Der Abend war großartig. Ich brauchte keinen Ausgleich. Mir fehlte auch kein Geld fürs Überleben. Also konnte ich den Fehler aufklären und das Geld floss zurück zum Ganzen.

Vielleicht kommt es mal wieder, wenn ich es wirklich brauche. Im Moment braucht es sicherlich jemand anderes.

 

Aber Danke sagen muss doch sein, oder?

Vielleicht brauchte ich heute nicht das Geld, aber mit Sicherheit die Anerkennung und den Dank des Kellners für mein großherziges Tun, oder?

Wer sich selbst als Teil eines Ganzen sieht, hat kein Bedürfnis nach Dank. Warum brauche ich Anerkennung für etwas, was ich ja auch mir selber geschenkt habe?

Was willst du denn noch weiter, wenn Du einem Menschen wohlgetan? Ist es nicht genug, dass du deiner Natur entsprechend gehandelt hast? Als ob das Auge Bezahlung forderte dafür, dass es sieht, und die Füße dafür, dass sie schreiten. (Marc Aurel)

 

Befreiung aus der Selbstwert-Falle

Sicherlich fragst Du Dich, was Dir das bringen soll, immer auch an andere zu denken? Vielleicht machst Du es sowieso schon und hast keine Lust mehr zu geben?

Auch wenn es ungewohnt ist und sich dadurch für Dich vielleicht als weltfremd darstellt: Den Blick auf das Ganze zu richten, entspannt, nein ich gehe noch weiter, es befreit.

Es macht dem Kampf ein Ende, nicht genug zu bekommen und entsprechend nicht genug zu sein. Als Verlierer fühlt sich dabei nur der, welcher seinen Selbstwert weiter aus dem Vergleich mit anderen ableitet.

Der Geist und die Kraft des Ganzen

Wer schon mal einen Marathonlauf gemacht hat oder als Zuschauer vor Ort war, wird sicherlich von einer besonderen Atmosphäre berichten, die dort wirkt. Unabhängig der Platzierung und Zeiten scheint es, als Laufe nicht jeder Einzelne für sich, sondern wird in einer Gemeinschaft „getragen“. Das ist ein Beispiel für der Geist und die Kraft des Ganzen.

Wenn Du das nächste Mal, mal wieder zu „kurz kommst“ und Dein „Platz an der Sonne“ vorübergehend belegt ist, akzeptiere, dass dies gerade genau Dein Anteil am Ganzen ist und genieße das neugewonnene Gefühl der Zugehörigkeit.

 

Herzlicher Gruß!
Michael Maleschka