man sunrise meditatiionMal ehrlich. Wie oft am Tag bist Du wirklich mit Dir allein? Ablenkung gibt es genug. Emails checken. Einkaufen gehen. Fernsehen schauen. Musik hören. Buch lesen. Mit Freunden telefonieren. Gerne auch kombiniert: Fernsehen schauen und telefonieren, Musik hören im Hintergrund und parallel im Internet einkaufen gehen.
Aber alleine? Wann warst Du wirklich das letzte Mal ganz allein mit Dir?

Ich kann von mir behaupten: Wahrscheinlich nie. Doch ich liebe die Herausforderung und entschloss mich daher, die Einsamkeit in mein Leben einzuladen.

Rückzug. Meditation. 10-Tages-Kurs Vipassana*. Edle Stille. Keine Gespräche. Kein Austausch. Nur ich mit mir. Sozusagen ein Romantik-Urlaub der Selbstbetrachtung.

Der Tagesablauf weist auf den ersten Blick Analogien zum Bootcamp auf. 4 Uhr aufstehen. 12 Stunden Meditation pro Tag. Rahmenprogramm: Fehlanzeige.

Aber ich wollte das ja, oder?

Ganz ehrlich: Es ist knallhart. Nein, nicht das stundenlange Sitzen auf dem Meditationskissen oder das fehlende Handy oder dass kein Buch zur Hand ist. Es ist das Allein-sein. Das fehlende Teilhaben an den Gedanken anderer. Mir fehlt: Das Danke und Bitte sagen. Das Geschenk des gegenseitigen Lächelns. Klartext: Ich komme nicht mit mir alleine klar!

Doch in jeder Erfahrung liegt bekannter weise ja auch eine große Chance. Wofür? Ach ja, ich wollte das Allein-sein probieren.

Also sitze ich weiter und beobachte meinen Atem an den Nasenflügeln. Denn das ist die Aufgabe in den ersten drei Tagen: Beobachte Deinen Atem in dem Dreiecksbereich zwischen Nase und Oberlippe.
Das heißt aber nicht: Bewerte, was Du wahrnimmst. Das bin ich aber so gewohnt. Zu überlegen, ob es sich gut oder schlecht anfühlt, ob es langweilig oder spannend ist oder sinnvoll? Nein, nur beobachten. Kein Ziel. Keine Suche nach ekstatischen Glücksgefühlen oder tollen Bildern, die dem Geist schmeicheln.

Nach drei Tagen habe ich eins ganz klar erfahren. Es ist nicht schwierig, sondern einfach ungewohnt, sich selbst wertfrei zu beobachten. Und das ist auch keine Überraschung: Je weniger ich mich selbst bewerte, desto weniger bewerte ich auch die anderen ca. 50 „Mitsitzer“. Während mich das ständige Husten und Bewegen am ersten Tag noch vorsichtig gesagt „nervt“, kehrt nach und nach Frieden ein. Nicht im Außen, denn der Lautstärkepegel ist mindestens genauso hoch wie vorher. Nein, im Inneren ist es ruhig geworden. Kein „Du solltest / Er kann doch nicht / Sie muss / Ich will noch eben. Nichts von dem. Es ist eindeutig das Ausbleiben von Bedürfnissen, was zu tiefer Ruhe führt.
Im Außen hat sich nichts geändert und doch fühlt es sich ganz anders an. Das hatte ich schon häufig erfürchtig gelesen und doch fehlte mir bis dato die Erfahrung, der körperliche Beweis.

Dieser Bewusstseinszustand hat nichts mit Schweben zu tun und spiritueller Grenzerfahrung, sondern schlichtweg mit Akzeptanz. Das was ist, ist genug und ausreichend. Genug Geld, genug Gesundheit, genug Schönheit, alles ist genug. Das Husten = genug Ruhe. Das Spazieren gehen in der Pause = genug Entertainment. Das Obst = genug Abendessen. Das Wachliegen in der Nacht = genug Erholung.

Und was soll ich daraus ableiten? Heißt das, dass wir keine Ziele und Wünsche haben sollten?

Ich spüre, dass wir sie nicht brauchen. Ich habe weiter gerne Ziele, doch dienen sie nicht mehr der vermeintlichen Besserung meiner Situation, sondern sind einfach bewusster Ausdruck für das Leben selbst. Ein Spiel, des Spielens wegen. Nicht, um zu gewinnen oder dass andere verlieren, sondern ein gegenwärtiger Ausdruck meiner Existenz. Nicht weil ich ich etwas werden und bekommen möchte. Ich feiere das, was ich bin und das in jedem Moment.

10 Tage Vipassana. Wie war diese Erfahrung für mich?

Wenn ich es bewerte sollte, dann war es die schönste und schlimmste, die schwierigste und einfachste Erfahrung, die ich bisher gemacht habe. Moment, das ist ja ein Widerspruch, oder? Vielleicht, doch genau dieser paradoxe Charakter spiegelt das Leben in der Gesamtheit wieder. Das eine geht nicht ohne das andere. Und das zu erfahren, löst mich von dem Wunsch und Bedürfnis nach allgegenwärtigem Erfolg und Souveränität, nach Sicherheit und einer beständigen Glückssträhne. Trotzdem merke ich eines ganz deutlich: Ich bin nicht der geborene Eremit, für den ich mich immer gehalten habe. Ich brauche andere Menschen und liebe den Austausch. Mitgefühl, herausfordernde Aufgaben und Dankbarkeit sind die Motoren meines Lebens. Kontrolle, Perfektion und eigene Erwartungen bremsen mich eher aus. Ich kehre zurück mit einer Idee, ein: Es könnte doch sein, dass…

Stell euch vor, ihr schaut einen echt guten Film, mit Witz, Tiefsinn und ganz viel Spannung. Irgendwie seid ihr ein Teil der Story und doch seid ihr euch gewiss, dass ihr nichts befürchten müsst. Es ist nur ein Film, den ihr beobachtet. Vielleicht ist es das Leben ja auch?

Vipassana*
Vipassana-Meditation ist die als Einsichts-Meditation bekannte Art und Weise der Versenkung, die sich ausschließlich auf die Körperwahrnehmung beschränkt. In Deutschland und weltweit werden 10-Tages-Kurse angeboten, die ausschließlich auf Spendenbasis durchgeführt werden. Die Botschaft lautet: Lasse Dich 10 Tage uneingeschränkt auf diese Erfahrung ein und wenn Du diese Zeit als wertvoll erachtest, dann unterstütze, wenn Du möchtest, das vereinsgeführte Konzept mit finanziellen Spenden oder auch als Helfer vor Ort. Sonst nicht.
In Deutschland ist derzeit Dhamma Dvära der einzige Verein, der die 10-Tages-Kurse anbietet.
Infos gibt es hier:  http://www.dvara.dhamma.org/Dhamma-Dvara.dvara.0.html?&L=1

Herzlicher Gruß!
Michael Maleschka