In unserer Gedankenwelt geht es häufig zu, wie auf dem „Rummel“. Schnell und scheinbar unkontrolliert jagt ein Gedanke den nächsten, ein Gefühl folgt dem anderen. Dabei gibt es eine Vielzahl von Störenfriede, die unseren Geist in Beschlag nehmen. Kritiker, Bewerter und (Selbst-) Entwerter, Kommentatoren und Vergleicher treiben ihr Unwesen.
Das notorische Persönlichnehmen von äußeren Eindrücken raubt uns die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens. Auf Dauer glauben wir schließlich zu sein, was wir denken und fühlen. Wir erzählen uns täglich selber Geschichten, wie wir sind und was wir tun müssen. Die Qualität unserer Fabulierkunst bestimmt unser Wohlbefinden, denn wir bestimmen selber Inhalt und Umfang dieser Geschichten und können sie jederzeit umschreiben, wichtige Dinge ergänzen und überflüssige Passagen herausnehmen.
Ein fernöstlicher Meister meinte einmal: „Wenn jemand dich einen dreckigen Hund nennt, musst du nur deinen Hintern ansehen. Wenn dort kein Schwanz ist, ist die Sache erledigt.“ Es geht also auch anders.
Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind, wir sehen die Dinge wie wir sind. (Talmud)
Bei allen Wellen, die unseren Geist jeden Tag durchströmen, hilft das so genannte Prinzip der Wandlung, um mehr Ruhe und Ausgeglichenheit in die eigene Gedankenwelt zu bekommen.
Angenommen Du empfindest große Sorge für die Zukunft. Begegne Deinem Gefühl mit Konzentration, Achtsamkeit und Interesse.
In einem ersten Schritt benenne das Gefühl, das Du erlebst. Sage z.B.: „Ah, das ist Sorge oder Angst, die in meinen Geist eingetreten ist.“ Dabei geht es darum, hinzusehen, ohne sich zu fürchten, vor dem erlebten Gefühl.
Der zweite Schritt besteht darin, die momentane Existent des Gefühls z.B. Angst zu akzeptieren. Dieses Vorgehen hat nichts mit Passivität zu tun, sondern stellt eine wichtige Vorarbeit für den im dritten Schritt folgenden Erforschungsprozess dar:
Schaue, spüre und höre genau hin. Wo bemerkst Du das Gefühl in Deinem Körper (z.B. Druck im Magen, Enge in der Brust, Herzrasen etc.). Ist dieses Gefühl angenehm, unangenehm oder neutral? Welche Denkmuster und Gewohnheiten sind mit diesem Gefühl verbunden? Welche inneren Bilder und Stimmen sind beteiligt(z.B. Innere Stimme: „Ich kann das nicht, ich habe es nicht verdient oder ich darf das nicht!).
Diese Auseinandersetzung ist wichtig, um zu erfahren, aus welchen Elementen das Gefühl konstruiert wurde. Ärger beispielsweise ist eine Folge nicht-erfüllter Bedürfnisse und die Frage: „Was fehlt mir gerade?“ verlagert die Wahrnehmung weg von den scheinbar mangelhaften äußeren Umständen hin zu den inneren Umständen und Ressourcen.
„Der Sinn einer Entdeckungsreise ist nicht, neue Landschaften zu finden, sondern einen neuen Blick zu erlangen.“ (Marcel Proust)
Der vierte und abschließende Schritt ist die Frage: „Bin ich das wirklich?“ und soll Dich dabei unterstützen, eine Identifikation mit dem Problem und dem damit verbundenen Gefühl aufzugeben. Statt zu sagen: „Ich bin voller Sorgen“, betrachte jedes Gefühl als eine Welle des Geistes. Gedanken sind konstruiert und meistens einseitig, statt sich darin zu verlieren, hilft ein Bewusstwerden der eigenen Gedanken dabei Ruhe und Ausgeglichenheit zu kultivieren.
So wird aus Schmerz nicht gleichzeitig auch Leiden. Schmerz ist unvermeidbar, ob wir auch Leiden ist abhängig davon, wie wir auf das ursprüngliche Gefühl reagieren. Wenn wir Leiden tun wir nichts anderes, als uns mit bestimmten Aspekten unserer Erfahrung zu identifizieren.
Neurologisch gesehen, sorgt der so genannte Reiz-Reaktions-Mechanismus dafür, dass einschränkende Gefühle sich im Körper und Geist ausbreiten können. Ein bekannter eingehender Reiz von außen (z.B. ein Blick, eine Wortwahl oder eine bestimmte Betonung der Stimme etc. ) führt zu einer gefühlsmäßigen Reaktion im Körper. So kann es passieren, dass das aus einer einzelnen Situation (z.B. die Erfahrung, abgelehnt zu werden) entstandene Gefühl immer wieder und jahrelang erlebt wird. Selbst wenn die neu erlebten Situationen nur ansatzweise ähnlich wie die Ursprungserfahrung sind, erkennt unser Gehirn einen klaren Zusammenhang und löst eine entsprechende Gefühlsreaktion aus.
Um die Muster zu durchbrechen und neue Möglichkeiten der Reaktion zu erlangen, ist es wichtig in solchen Situationen bewusst inne zu halten. Ein Augenblick der inneren Stille und die Durchführung der oben beschriebenen vier Schritte der inneren Wandlung verhindern die automatische Kopplung von Ereignis und Reaktion. Dadurch gewinnen wir wieder Kontrolle über unsere Gefühle und erobern unseren Geist zurück.
Diese Form von Konzentration auf die innere Haltung ist unter dem Palibegriff Jhana bekannt. Aus dieser indischen Richtung entwickelte sich die auch im Westen bekannte japanische Zen-Philosophie und Praxis.
Die in Indien verehrte Göttin Kali ist ein Symbol für die Aufgabe eines falschen Ich-Verständnisses und einer damit verbundenen Nicht-Identifikation mit den eigenen Gefühlen. Im Buddhismus wird in diesem Zusammenhang vom Mittleren Weg gesprochen.
Im Gegensatz zu der klassisch dualistischen Sichtweise im Westen (gut und schlecht, richtig und falsch etc.) beinhaltet der Mittlere Weg im Zen-Buddhismus die Anerkennung der gleichzeitigen Existenz dieser Polaritäten. Es geht darum die Vielfalt unserer Erfahrungen im Leben anzunehmen, Widersprüche und Spannungen auszuhalten und den Umgang damit als unsere Aufgabe im Leben zu betrachten. Statt Vollkommenheit zu verfolgen, ist der Weg, auch in Unsicherheit zu ruhen, Vertrauen in das Leben zu haben und mit Mitgefühl sowie Furchtlosigkeit zu handeln.
„Natürlich können wir uns immer der Vorstellung hingeben, wie bessere Bedingungen jetzt aussehen würden, wie alles wäre, wenn der Idealzustand einträte, wie alle anderen sich verhalten sollten. Aber die Schaffung von Idealen ist nicht unsere Aufgabe. Unser Ziel ist es, die Welt zu sehen, wie sie ist und von ihr zu lernen. Für das Erwachen des Herzens sind die Bedingungen immer gut genug.“ (Ajahn Sumedho)
Auch bei der Entwicklung von Wertschätzung und Mitgefühl ist das Prinzip der Wandlung von großer Bedeutung, um dem Gegenüber mit Güte zu begegnen.
Die Nepali begrüßen einander und andere Menschen mit dem Wort Namaste, was bedeutet: Ich grüße das Göttliche in Dir. Diese Ehrung der Natur des Menschen ist selbstverständlich für die Grundhaltung fernöstlicher Lebensweisen.
Im Buddhismus liegt der Sinn im Leben in der Entwicklung des inneren Geistes, der Haltung zum Leben und den Mitmenschen. Alle Menschen haben eine zentrale Gemeinsamkeit, sie sehnen sich nach Glück und möchten Leid vermeiden.
Nelson Mandela betonte, dass es nicht weh tut, gut von einem anderen Menschen zu denken. Häufig erlaubt es unsere Gewohnheit nicht, auch Menschen Mitgefühl entgegenzubringen, die gesellschaftlich gesehen eine Schuld auf sich geladen haben oder sonst wie nicht unserer Vorstellung entsprechen.
Die klassische dualistische Sichtweise von gut und böse sowie richtig und falsch trennt die Menschen immer wieder in unterschiedliche Lager. Doch diese Spaltung ist nur ein Konstrukt des Geistes. Gewohnheiten ändern sich manchmal nur langsam und doch ist ein praktikabler erster Schritt, Menschen, denen ich (noch) keine Hilfe zu kommen lassen möchte, zumindest nicht zu schaden durch Aggression, Nachrede oder Verleugnung.
Um Güte für andere zu entwickeln, probiere doch mal folgendes aus. Sollte ein Mensch in Dir große Ablehnung auslösen, stelle dir diese Person als kleines, unschuldiges Kind oder am Ende des Lebens vor, verletzbar und offen für alle Erfahrungen. Sieh Deinen Gegenüber wie dich selbst auch als Mensch, der sich nach Glück sehnt und Leid vermeiden will.
Herzlicher Gruß und eine richtig gute Zeit!
Michael Maleschka
-Institutsleiter-