herzProbleme entstehen im Außen. So scheint es zu sein. Sie lassen sich klassischer Weise als unpassende Umstände, unangenehme Begegnungen oder auch, je nach spiritueller Gesinnung, als Schicksal beschreiben. Doch um eine Situation als problematisch zu erfahren, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Ein Problem ist ein Konstrukt aus unterschiedlichen Bestandteilen, die Matthias Varga von Kibed innerhalb der systemischen Struktur-Aufstellung1 beleuchtet. Ein Modell um die Dynamik von Denkstrukturen aber auch persönlichen Beziehungen in Systemen (z.B. der Familie, der Firma oder auch der Gesamtheit innerer Persönlichkeitsanteile „Inneres Team“) zu untersuchen.

Ein Problem entsteht erst, wenn wir mit einer Situation, einer Äußerung oder einem Menschen, innerlich in Resonanz treten. Der Spruch „Wenn der Schuh passt, ziehe ihn an.“ beschreibt genau diesen Sachverhalt. Keiner und nichts kann uns glaubhaft machen ein Problem zu haben, wenn wir nicht innerlich selbst davon überzeugt sind, bewusst oder unbewusst.

Wenn Du beispielsweise jemanden beleidigst, dann entwickelst Du Ärger nur dann, wenn Du innerlich selbst eine Art der Herabsetzung Deiner Person betreibst und an einem Mangel an Selbstakzeptanz leidest.

Ein Zen-Meister meint dazu: „Wenn Dich jemand ein mieses Schwein nennt, schau an Dir herunter und wenn Du keinen Ringelschwanz an Dir entdeckst, ist die Sache erledigt.“ Vom Wesen her sind also alle Situationen und Begegnungen im Leben wertfrei. Deinen Charakter, gut oder schlecht, richtig oder falsch etc. bekommst Du durch die Art und Weise, wie du betrachtet und bewertet wirst.

In der Physik gibt es das Phänomen der Heisenbergschen Unschärferelation, die besagt, dass der Zustand ob etwas, als Welle oder Teilchen auftritt, allein abhängig vom Beobachter ist. Wenn übertragen auf unser Beispiel, das Problem als Teilchen und die Lösung als Welle auftritt, können wir nur durch eine andere Art der Betrachtung, das Eine im Anderen sehen. Dann wäre das Problem die Lösung oder die Lösung auch das Problem. Genau diese These möchte ich gerne mit Dir zusammen untersuchen.

Nimm Dir dazu ein Problem, welches Dich aktuell beschäftigt, vergegenwärtige Dir, um was es geht und woran Du merkst, dass es ein Problem ist. Vielleicht hast Du dann ein Bild vor Augen oder bemerkst eine innere Stimme, die Dein ausgewähltes Thema kommentiert oder Du spürst körperlich die Belastung, die damit verbunden ist.

Falls Du ohne Einschränkung sagen kannst, dass Du dieses Problem hast, hast Du schon mal die erste Voraussetzung für ein Problem erfüllt, denn wenn es nicht Dein Problem wäre, sondern das eines anderen Menschen, könntest Du schon jetzt davon Abstand nehmen. Oder wie Rambo treffend gesagt hat: „Das ist nicht mein Krieg.“

Die erste Voraussetzung, um ein Problem zu haben, ist der Fokus bzw. Besitzer dieses Problems zu sein.

 

Die zweite Tatsache, die erfüllt sein muss, ist, dass es einen Unterschied zwischen Soll und Ist-Zustand gibt, d.h. dass ein Ziel vorliegt, welches Du anstrebst. Dieses Ziel kann auch sein, dass alles so bleiben soll wie es ist und Du Veränderung, das Verlassen der Komfortzone des Lebens, als problematisch empfindest. Ohne Ziel gibt es auch kein Problem. Was ist Dein Ziel?

Die zweite Voraussetzung, um ein Problem zu haben, ist das Vorliegen eines Ziels.

 

Prüfe dann, was Dich daran hindert, Dein Ziel zu erreichen. Was ist das Hindernis? Meistens machen sich die Menschen dabei auf die Suche nach Außen und finden Gründe finanzieller oder organisatorischer Natur, die die Zielerreichung verhindern. Das ist ok, weil wir es einfach so gewohnt sind. Mache es trotzdem dieses Mal anders. Benenne alles, was Du als Hindernis erkannt hast, um. Definiere alle Aspekte der Hinderung als Schutzwälle. Wovor wirst Du beschützt, indem Du dein Ziel nicht erreichst?

Die dritte Voraussetzung, um ein Problem zu haben, ist, dass ein Hindernis vorliegt, welches die Zielerreichung verhindert. Ein Schutzwall dagegen entsteht aus eigener Entscheidung heraus und verschwindet, wenn er nicht mehr gebraucht wird.

In der systemischen Arbeit der Struktur-Aufstellungen wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch bereits alle Ressourcen , d.h. Fähig- und Fertigkeiten, in sich trägt, um die eigenen Ziele zu verwirklichen. Falls Du davon ausgehst, ein Problem zu haben, mache dich auf die Suche nach momentan nicht genutzten eigenen Stärken, die Du für die Zielerreichung benötigen könnest. Was brauchst Du (noch) für die Problembewältigung?

Die vierte Voraussetzung, ein Problem zu haben, sind nicht-genutzte Ressourcen.

Mit der Betrachtung von Hindernissen als Schutzwälle hast Du wahrscheinlich bereits neue Informationen für Dein Thema gefunden. Ein weiterer häufig nicht ausreichend betrachteter Aspekt ist der Sachverhalt des so genannten verdeckten Gewinns einer Situation. Ein Problem bleibt bestehen, wenn ich nicht berücksichtige, was meine momentane Lage für einen konkreten Nutzen für mich hat. Was bringt es Dir, dass Du die angestrebte Lösung noch nicht gefunden hast? Lasse dich nicht von der möglichen Antwort „Nichts“ verleiten, deine Suche zu schnell einzustellen. Der verdeckte Gewinn ist von solch zentraler Bedeutung, dass er sich gerne so gut versteckt, um möglichst nicht gefunden zu werden. Er ist der Preis, der für die Lösung zu zahlen ist. In der Lösung berücksichtigt wird er zu einer wahren Kostbarkeit. Möchtest Du diesen Preis bezahlen? Wie kannst Du dem verdeckten Gewinn auch in der Lösung einen guten Platz geben?

Die fünfte Voraussetzung, um ein Problem zu haben, ist die Nicht-Beachtung eines verdeckten Gewinns.

Der letzte Aspekt eines Problems klingt für viele Menschen noch erstaunlicher als die vorher genannten: Die Lösung ist manchmal viel schlimmer als das Problem. Oder anders ausgedrückt, wäre das Problem nicht mehr da, d.h. die Lösung gefunden, dann gäbe es eine zukünftige Aufgabe, eine nächste Herausforderung, die dann nicht mehr abzuwenden wäre. So empfinden Menschen durchaus den Zustand der Freiheit als Belastung, denn Freiheit ist mit Selbstgestaltung und Selbstverantwortung verbunden. Im Zuge totaler Freiheit gibt es keinen Menschen oder Umstand mehr, den ich beispielsweise für erlebten Misserfolg und empfundene Demotivation heranziehen kann. Die Verantwortung bleibt bei mir. So ist die Schule beispielsweise für viele Heranwachsende ein Ort der fremd aufgelegten Disziplin und der Willkür, doch erst mal im lang ersehnten, selbst gewählten Studium angekommen, wird die neu gewonnen Freiheit manchmal auch zur spürbaren Qual. Weil sie herausfordert und Anforderungen stellt an den Menschen, sich selber zu organisieren und zu finanzieren.

Welche zukünftige Aufgabe steht bei Dir an, wenn Du das aktuelle Problem gelöst hast? Gibt es vielleicht noch etwas, was Du vor dem momentanen Ziel noch zu erledigen / erreichen hast?

Die sechste Voraussetzung, ein Problem zu haben, ist, eine zukünftige Aufgabe nicht ausreichend erfasst zu haben.

Zusammenfassend gibt es also eine Art Liebesbeziehung zwischen Problem und Lösung, wie Gunther Schmidt2 es so treffend beschreibt. Problem und Lösung sind keine Gegensätze, sondern Partner, die über ihr ursprüngliches Wesen hinaus, gemeinsame neue Entwicklungen möglich machen.

Aus diesem Grunde bezeichne ich ein Problem viel lieber als Thema oder Herausforderung, weil ich sonst immer davon ausgehe und per Definition festlege, dass es einen Zustand gibt, der die Eigenschaften hat, ein Problem zu sein und entsprechend einen sich unterscheidenden Zustand existiert, der die Eigenschaften der Lösung besitzt. Um von dem einen zum anderen zu kommen, bedarf es dann einer Änderung der Eigenschaften. Das ist aber nicht der Fall, wie oben gesehen. Nicht die Eigenschaften ändern sich, sondern die eigene Haltung gegenüber diesen sowie die Betrachtung der selbigen.

Herzliche Grüße!

Michael Maleschka
-Institutsleiter-

Varga von Kibed: Ganz im Gegenteil: Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Strukturaufstellungen – für Querdenker und solche, die es werden wollen
2 Gunther Schmidt: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten)